Gutachten und Bund bestätigen: Bypass-Planung basiert auf veralteten Annahmen

Die Grundlagen, auf denen das Projekt Bypass Luzern basiert und mit denen Bund und Kanton den Autobahnausbau rechtfertigen, sind überholt. Die Berechnungen basieren auf veralteten Zahlen und die Verkehrsmodellierung wurde unvollständig durchgeführt, was zu falschen Schlussfolgerungen führt. Auch die Klimakosten des Projekts werden unterschätzt.

Der für 2040 prognostizierte «Engpass» auf der Luzerner Autobahn verliert als Rechtfertigung für den Bau des Bypass gleich doppelt an Glaubwürdigkeit. Einerseits lässt ein unabhängiges Gutachten kein gutes Haar am Zahlenmaterial und der darauf aufbauenden Verkehrsmodellierung. Und andererseits prognostiziert auch der Bund in seinen «Verkehrsperspektiven 2050» ein komplett anderes Bild, als dem Bypass hinterlegt ist.

Das vom VCS und WWF Luzern beim Verkehrs- und Mobilitätsprofessor Alexander Erath (Fachhochschule Nordwestschweiz) in Auftrag gegebene, unabhängige Gutachten zum Bypass Luzern zeigt: Die Zahlen für die Verkehrsmodellierung des Bypass sind ungenügend, veraltet und damit wenig aussagekräftig. Veränderungen bezüglich der Verkehrserzeugung (z.B. Homeoffice), der Attraktivität der einzelnen Verkehrsmittel (z.B. Ausbau Veloinfrastruktur, ÖV), in der PW-Verfügbarkeit und beim ÖV-Abobesitz oder die demographische Entwicklung wurden nicht berücksichtigt. Die Nachfrage des Motorisierten Individualverkehrs (MIV) wird damit ohne Bypass überschätzt, das heisst: Der vermeintliche Engpass bis 2040 ist wohl gar nicht so eng.

Bund rechnet mit weniger Autoverkehr

Dass die Zahlen im Bypass-Projekt überholt sind, zeigen auch die am 16. November 2021 vorgestellten «Verkehrsperspektiven 2050» des Bundes. Im Hauptszenario «Basis» geht der Bund davon aus, dass die Bevölkerung bis 2050 gegenüber dem Referenzjahr 2017 zwar um 21 Prozent wachsen wird, die Gesamtverkehrsleistung beim Personenverkehr aber bloss um 11 Prozent. Der Grossteil des Wachstums geht auf das Konto des öffentlichen Verkehrs, der Anteil des MIV am Gesamtverkehr sinkt von 73 auf 68 Prozent. Die gefahrenen Autokilometer gehen damit gegenüber früheren Prognosen klar zurück; rechnete der Bund in den Perspektiven 2030 (aus dem Jahr 2006) noch mit 103,8 Mrd. MIV-Personenkilometern pro Jahr, sind es in den aktuellen Prognosen bis 2050 nur noch 93,4 Mrd. MIV-Personenkilometern pro Jahr. Damit beträgt das MIV-Verkehrswachstum von 2017 bis 2050 gerade mal 2,6 Prozent.

Ganz anders die Prognosen für die Planung des Bypass: Hier geht das Projekt nach wie vor von einem parallel zur Bevölkerung ansteigenden MIV-Wachstum aus. Konkret rechnet das Projekt ab 2017 mit einer jährlichen Zunahme von 1 Prozent, das macht bis 2040 insgesamt ein Plus von 22 Prozent - achtmal so hoch wie in den aktuellen «Verkehrsprognosen 2050» des Bundes. Das zeigt, dass die Bypass-Zahlen überholt sind.

Mehrverkehr durch Bypass praktisch nicht berücksichtigt

Zu all dem ist Verkehrsmodellierung für das Projekt Bypass mangelhaft durchgeführt worden. «Für die Beurteilung der verkehrlichen Wirkung des Bypasses wurde ein monomodales Verkehrsmodell eingesetzt. [...] Bei grossen Projekten, wie dem Bypass Luzern muss die verkehrliche Wirkung mit einem multimodalen Verkehrsmodell berechnet werden, das nicht nur Routen- und Verkehrsmittelwahl sondern iterativ auch Zielwahleffekte abbildet», heisst es im Gutachten. So verlangen es auch entsprechende Normen. «Nur so kann die Wirkung neuer Infrastrukturen auf die Fahrtweitenverteilung und den dadurch induzierten Verkehr dargestellt werden.» Durch die mangelhafte Anwendung des Verkehrsmodells wird das Gesamtbild verfälscht: Die Verdoppelung der Autobahnkapazität in Luzern mit dem Bypass führt zu deutlichem Mehrverkehr, der im Projekt jedoch fast nicht berücksichtigt worden ist.

Überkapazität der Stadtautobahn

Insbesondere auf der Stadtautobahn schlägt das Nicht-Beachten des induzierten Verkehrs zu Buche: «Aufgrund der deutlichen Entlastung der Stadtautobahn durch den Bypass sind nicht nur beim Transit- sondern auch im städtischen Quell-/Zielverkehr Reisezeitverbesserungen und somit eine auch bezüglich der zurückgelegten Distanzen nachfragesteigernde Wirkung zu erwarten», schreibt Erath. Auf der Stadtautobahn entstehe eine «deutliche Überkapazität». Der Mobilitätsprofessor regt deshalb an, sich zu überlegen, wie man mit dieser Überkapazität umgehen wolle, etwa durch die Einrichtung einer Bus-Expressspur auf der Stadtautobahn für regionale Verbindungen. Aufgrund der Überkapazität sei auch die Spurtopologie des Bypass zu überdenken: «Zum Beispiel könnte erwogen werden, ob der erwartete Verkehr auch mit einem sechsspurigen Bypass und einem Rückbau von Spuren der Stadtautobahn bewältigt werden kann.»

Klimakosten werden unterschätzt

Die ungenügende Verkehrsmodellierung hat direkte Auswirkungen auf die Kosten-Nutzen-Analyse des Projekts; der nicht ausgewiesene induzierte Verkehr schmälert den prognostizierten Reisezeitgewinn und damit den Nutzen. Auf der anderen Seite werden die Klimakosten im Projekt massiv unterschätzt. Die Klimabelastung durch den Bau und den entstehenden Zusatzverkehr wurden gar nicht ausgewiesen. Und der für den übrigen Betrieb eingerechnete CO2-Preis ist – auch wenn das den aktuellen Normen entspricht - viel zu tief angesetzt: Im Bypass-Projekt wird von einem Betrag von 105 Franken pro Tonne CO2 für das Jahr 2010 ausgegangen, bei jährlicher Erhöhung um 3 Prozent. Die Entwicklung der CO2-Preise im europäischen Emissionshandel sehen allerdings bis 2030 Preissteigerungen von 200 bis 250 Prozent voraus. Unter dem Strich rechnet der Bund für das ganze Bypass-Projekt mit Klimakosten von 5 Millionen Franken. Zum Vergleich: Der Reisezeitgewinn wird im Projekt mit einem Nutzen von 1,3 Milliarden Franken eingerechnet. Fazit des Gutachtens: «Aufgrund des heutigen Wissensstands liegen die effektiven Klimafolgekosten höher als die in den derzeit geltenden Normen und Richtlinien dafür vorgesehenen Kostenfaktoren.»

Empfehlung: das Projekt neu berechnen, weniger Spuren für die Autos

Die Verkehrs- und Mobilitätsprofessoren geben aufgrund ihrer Analyse verschiedene Empfehlungen ab:

So soll unter anderem das Projekt Bypass mit dem inzwischen neuen Verkehrsmodell des Kantons Luzern nochmals neu durchgerechnet werden. Die verkehrliche Wirkung des Bypass sei mit dem multimodalen Verkehrsmodell unter Berücksichtigung der Ziel-, Verkehrsmittel- und Routenwahleffekte zu berechnen. Aufgrund der damit neuen Ausgangslage sei auch eine neue Kosten-Nutzen-Analyse zu erstellen (induzierter Verkehr, Klimakosten etc.).  Im Sinne einer Gesamtperspektive soll zudem überprüft werden, wie mit den Überkapazitäten auf der Stadtautobahn umzugehen ist, etwa einer Reduktion der Autospuren.

VCS und WWF sehen sich in den Resultaten des unabhängigen Gutachtens wie auch in den «Verkehrsperspektiven 2050» des Bundes bestätigt: Das Milliardenprojekt Bypass Luzern ist veraltet, klimaschädlich, kontraproduktiv und damit unnötig. Statt die Autoinfrastruktur weiter auszubauen, müssen Bund, Kanton und Gemeinden aufgrund der Klimakrise und des beschränkten Platzes in Ballungsräumen rasch mehr Platz für flächeneffiziente und umweltschonende Verkehrsmittel schaffen; gute Fussgängerverbindungen, mehr Velowege, durchgehende Busspuren.

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